Als meine Tochter zum Altar schritt, trug sie nicht das elfenbeinfarbene Kleid, an dem wir monatelang gefeilt hatten. Stattdessen trug sie ein Kleid so schwarz wie die Nacht, und der eigentliche Schock war nicht die Farbe, sondern der Grund dafür.Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem Jane mich anrief und ihre Stimme vor Aufregung übersprudelte.”Mama, er hat mir einen Heiratsantrag gemacht!”, schrie sie fast in den Hörer.Ich hatte gewusst, dass es so kommen würde – Jack war seit fünf Jahren in ihrem Leben. Sie waren glücklich. Zumindest dachte ich das damals.Von diesem Moment an nahm die Hochzeitsplanung unser Leben in Beschlag. Und das erste, was wir beschlossen, war das Kleid.
Jane hatte immer von etwas Einzigartigem geträumt. Nichts von der Stange. Es musste maßgeschneidert sein, nur für sie. Zum Glück war meine beste Freundin Helen eine der talentiertesten Näherinnen der Stadt.”Oh, wir werden sie wie eine Königin aussehen lassen”, hatte Helen gesagt, als sie die ersten Entwürfe skizzierte.Monatelang hat sie daran gearbeitet. In jeden Stich, jede Perle, jede zarte Stofffalte steckte sie ihr Herz. Es war zeitaufwändig und teuer, aber es war perfekt.Vor ein paar Tagen sah ich, dass es fast fertig war. Elfenbeinfarbener Satin, zarte Spitze, eine lange, fließende Schleppe. Es war genau das, wovon Jane geträumt hatte, seit sie ein kleines Mädchen war.
In der Nacht vor der Hochzeit fiel mir etwas auf. Jack verhielt sich nicht wie er selbst. Er war immer höflich, vielleicht ein bisschen still, aber ein guter Mann. Aber an diesem Abend war er anders. Er sah Jane kaum an, und seine Antworten waren kurz und distanziert.”Geht es dir gut?”, fragte ich ihn, als Jane für einen Moment wegging.Jack zwang sich zu einem Lächeln. “Ja. Nur ein bisschen nervös, weißt du?”Ich nickte. Das machte Sinn. Hochzeiten sind große, emotionale Ereignisse.Aber trotzdem… irgendetwas stimmte nicht.Am nächsten Morgen brummte das Haus vor Aufregung. Die Visagistin war im Wohnzimmer. Die Brautjungfern eilten rein und raus. Jane saß vor dem Spiegel und strahlte.
Dann kam Helen an. Sie kam herein und trug eine große weiße Kiste.”Hier ist sie”, sagte sie und stellte sie mit einem stolzen Lächeln auf dem Tisch ab.Ich grinste. “Ich kann es kaum erwarten, es wieder zu sehen. Es war so schön, als ich das letzte Mal…”Ich hob den Deckel an.Mir wurde flau im Magen. Das Kleid darin war schwarz. Nicht elfenbeinfarben. Nicht weiß. Ganz, ganz schwarz. Meine Hände begannen zu zittern. Mein Mund wurde trocken.”Helen”, flüsterte ich. “Was zum Teufel ist das?”Sie blieb ruhig. Zu ruhig. Dann legte sie ihre Hand auf meine. “Schatz, vertrau mir einfach.”
Ich drehte mich zu Jane und erwartete Schock, Entsetzen, Verwirrung – irgendetwas. Aber sie saß nur da und starrte auf ihr Spiegelbild.”Jane?” Meine Stimme wurde brüchig. “Was ist denn los?”Endlich sah sie mich an.”Ich muss das tun, Mama.”Meine Brust zog sich zusammen. “Was tun? Zum Altar gehen in… Jane, das ist kein Scherz! Das ist deine Hochzeit!”Sie griff nach meiner Hand und drückte sie. “Ich weiß.”Helen berührte sanft meine Schulter. “Du musst dich hinsetzen.”
Ich konnte kaum atmen. Mein Herz klopfte wie wild. Das war nicht richtig. Das war nicht normal. Doch draußen begann die Musik und ehe ich mich versah, stand Jane in ihrem schwarzen Kleid da und ging auf den Altar zu.Der Veranstaltungsort war atemberaubend. Reihen von elfenbeinfarbenen Rosen säumten den Gang. Sanftes Kerzenlicht flackerte in den großen Kronleuchtern. Ein Streichquartett spielte eine zarte Melodie und erfüllte den Raum mit einem Hauch von Eleganz.Die Gäste flüsterten aufgeregt und ihre Gesichter leuchteten vor Vorfreude.”Sie sind so ein perfektes Paar.”
“Ich habe gehört, dass Jack bei der Probe geweint hat!”Ich saß in meinem Stuhl und hatte die Hände im Schoß geballt. Mein Herz pochte gegen meine Rippen. Sie wussten es nicht. Keiner von ihnen wusste es.Dann änderte sich die Musik. Die Türen im hinteren Teil des Raumes öffneten sich knarrend. Ein Schweigen legte sich über die Menge.
Jane trat in Schwarz gehüllt ein. Eine Welle der Verwirrung ging durch die Gäste. Ich hörte Keuchen und Gemurmel.”Was…?””Ist das ein Scherz?””Ist das wirklich ihr Kleid?”Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht atmen.Jane ging langsam, ihre schwarze Schleppe schwang über die weißen Blütenblätter, die im Gang verstreut waren. Ihr Schleier, durchsichtig und dunkel, umrahmte ihr Gesicht, aber ich konnte trotzdem ihren ruhigen Gesichtsausdruck sehen.Dann sah ich Jack. Sein Lächeln verschwand, und sein Gesicht wurde blass.
Seine Hände, die er zuvor selbstbewusst vor sich gehalten hatte, fielen schlaff auf seine Seiten. Sein Mund öffnete sich leicht, aber es kamen keine Worte heraus.Er sah … verängstigt aus. Und plötzlich wusste ich es.Eine Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf: als ich vor Jahren mit Jane auf der Couch saß und mir einen alten Film ansah. Eine Frau hatte herausgefunden, dass ihr Verlobter untreu war. Anstatt die Hochzeit abzusagen, schritt sie in Schwarz zum Altar. Nicht als Braut, sondern als eine Frau, die um die Liebe trauert, die sie zu haben glaubte.Ich hatte gedacht, es sei nur eine dramatische Szene. Jane hatte sich erinnert. Und jetzt lebte sie es.
Mir drehte sich der Magen um. Das war kein Scherz oder ein Fehler. Das war Rache.Jack schluckte schwer, als Jane den Altar erreichte. Seine Augen huschten umher, auf der Suche nach einer Erklärung, einem Ausweg. Sie stand vor ihm, die Hände fest in der Hand, ihr Gesicht unleserlich.Der Zeremonienmeister zögerte, bevor er sich räusperte. “Wir sind heute hier versammelt, um die Vereinigung von…”Jack zwang sich zu einem nervösen Lachen. “Babe, was ist das?” Seine Stimme schwankte. “Was ist mit dem Kleid?”
Jane nickte. “Ja. Lasst uns weitermachen.”Die Zeremonie wurde fortgesetzt, aber niemand hörte zu. Alle Augen im Raum waren auf Jane gerichtet und warteten. Dann kam das Gelübde.Jack holte tief Luft und griff nach Janes Händen. Sie hat ihn nicht aufgehalten. Er leckte sich nervös über die Lippen und lächelte dann zittrig.”Jane, von dem Moment an, als ich dich traf, wusste ich, dass du die Richtige bist. Du bist meine beste Freundin, meine Seelenverwandte, mein Ein und Alles. Ich verspreche, dich zu lieben, dich zu ehren und dir in jeder Situation zur Seite zu stehen. Ich kann es nicht erwarten, für immer mit dir zusammen zu sein.”Seine Stimme wurde mit jedem Wort kräftiger, als ob er glaubte, dass die Sache noch zu retten sei.